Die IT hält umfassend Einzug in unsere Welt. Stromnetze sollen digital vernetzt werden, der Verkehr und das Gesundheitswesen. Selbst die öffentliche Verwaltung soll integriert werden. Von Smart Grids ist die Rede. Noch sind wir von der smarten Welt ein weites Stück entfernt.
Glaubt man der Werbung, ist unsere Umgebung schon lange super schlau. Zahnbürsten, Autos und Dachfenster sind smart, Mobiltelefone sowieso, und mittelfristig sind es ganze Städte und in Zukunft vielleicht sogar der ganze Planet. Nur: Unter dem Wörtchen smart versteht, wie immer, wenn angloamerikanische Begriffe im Spiel sind, fast jeder etwas anderes. Dasselbe gilt für Smart Grids, sprich intelligente netze. Was für die einen eine sprudelnde Quelle geheimdienstlicher Erkenntnis ist, kann für andere einfach nur bedeuten, dass auf der Ladefläche des LKWs den er gerade trackt, Dinge mit RFID-Chip oder Sensor stecken.
Ein wenig Definition kan da also nicht schaden und die liefert das Fraunhofer Institut: „Als intelligente Netze werden Lösungen bezeichnet, die netzbasiert eine Regelung oder Koordination unterschiedlichster technischer Geräte ermöglichen. Dies geschieht zumeist kontextbezogen und über einen automatisierten Austausch von Daten. Ziel ist es, komplexe Prozesse besser zu managen, die Effizienz zu steigern, Verbrauch und Erzeugung miteinander zu koppeln und damit Ressourcen zu schonen sowie weitere, neue vernetzte Anwendungen zu ermöglichen. Intelligente Netzte beginnen/enden bei Sensoren/Aktoren, denen sie Daten entnehmen bzw. zuführen, werden über Kommunikationskanäle verschiedener, meist breitbandiger Accesstechnologien aggregiert und münden in zentralen Plattformen zur Speicherung bzw. Weiterverarbeitung über anwenderbezogene Dienste.“
Neben dieser Klärung hat das Fraunhofer ESK-Institut in Zusammenarbeit mit dem BITKOM dankenswerterweise die Auswertung einer Reihe von Studien zum Thema Smart Grids geliefert und dabei zu erwartende Entwicklungen in so unterschiedlichen Branchen wie Transport/Verkehr, Gesundheitswesen, Energiewirtschaft und anderen zusammengefasst.
Um das Fazit der Untersuchung „Gesamtwirtschaftliche Potenziale intelligenter Netze in Deutschland“ gleich vorwegzunehmen: Die gewaltigen Investitionen, die für den Um- und Ausbau der Stromnetze und umfassende Vernetzung von Energieerzeuger bis Endverbraucher nötig sind, rechnen sich. Der Energiewandel wird sich lohnen, mittel- bis langfristig.
Den verschiedenen Prognosen zufolge schaffen intelligente Netze nämlich einen beachtlichen „gesellschaftlichen Gesamtnutzen“. Dieser soll sich vor allem aus zwei Bereichen speisen: Effizienzsteigerungen und Wachstumsimpulse. Bis 2020 könnten intelligente Netze quer durch alle Branchen für Effizienzgewinne in Höhe von 39 Milliarden Euro pro Jahr sorgen und den Unternehmen zudem „Wachstumsimpulse“ im Wert von 16,7 Milliarden bescheren. Hinzu kämen Umsatzsteigerungen, die sich aus übergreifenden Anwendungen ergeben, wie etwa die Verknüpfung von Smart Grids mit der Elektromobilität. Ohne moderne Infrastruktur, Standardisierung und de Schulterschluss von Politik und Wirtschaft ist mit solchen Steigerungen so bald jedoch nicht zu rechnen: „Voraussetzung für die Realisierung der Effekte ist die konsequente Umsetzung des Konzepts der intelligenten Netze und ein schneller Rollout von Infrastrukturen und vernetzten Anwendungen in den Bereichen Energie (Smart Power Grids), Gesundheit (intelligentes Gesundheitsnetz), Verkehr (Smart Traffic), Bildung (E-Learning und Verwaltungsmodernisierung) und Behörden (E_Government und E-Participation). Weiterhin ist für die Realisierung der Effekte die Koordination und Abstimmung der Akteure über die einzelnen Bereiche hinweg entscheidend. Es müssen Rahmenbedingungen für Investitionen in neue Geschäftsmodelle und hochleistungsfähige Breitbandinternet-Netze geschaffen werden. Darüber hinaus ist die Klärung spezifischer Datenschutz- und Standardisierungsfragen erforderlich“, berichten die Fraunhofer Forscher.
Angesichts solch komplexer Aufgabenstellungen und dem damit verbundenen Investitionsbedarf darf zumindest angezweifelt werden, wie der prognostizierte Nutzen im Gesamtwert von (kumuliert) 336 Milliarden Euro bis 2020 überhaupt zustande kommen soll.
E-Energy
Laut Willenserklärung der Bundesregierung soll der Anteil erneuerbarer Energien von derzeit etwa 16 Prozent bis 2020 auf 35 Prozent steigen. Für denselben Zeitraum sehen die Richtlinien der EU-Kommission eine Senkung des CO2-Ausstoßes um 20 Prozent vor. Bei der angestrebten Energiewende und dem dafür nötigen Umbau der Versorgungssysteme spielen Informations- und Kommunikationstechnik (IKT) die Hauptrolle. Sie erst ermöglichen die Smart Grids und sorgen für den integrierten Betrieb, die Vernetzung sowie die intelligente Nutzung aller zur Verfügung stehenden Ressourcen. IKT ist die Grundlage für die Optimierung und Integration von Energieversorgung und Energieverbrauch – von der Stromerzeugung über die Speicherung, den Transport und die Verteilung bis hin zum energieeffizienten Betrieb von Geräten der Endkunden in Unternehmen und dem so genannten Smart Home.
Während theoretisch längst klar ist, welche Schlüsseltechnologien in der smarten Energieerzeugung, -verteilung und -nutzung von morgen wirken werden, ist die Praxis bisher nur punktuell erprobt. Zumeist handelt es sich um örtlich begrenzte Testprojekte wie etwa Smart Grids für Wachtendonk (Siemens) und Mannheim (IBM) oder die T-City Friedrichshafen (T-Systems): Auch die regionalen Modellversuche im Rahmen des von der Bundesregierung bis Ende letzten Jahres geförderten Nationalen Leuchtturmprojekts „E-Energy – IKT-basiertes Energiesystem der Zukunft“ zeigen, wie eine umfasende Vernetzung zwischen smarte Kraftwerken, Unternehmen und Privathaushalten unter Einsatz moderner Technik aussehen könnte. Sie zeigen aber auch, dass für ein landesweites und EU-Grenzen überschreitendes „Internet der Energie“ noch etliche Hürden zu nehmen sind.
Zudem ist derzeit kaum abzusehen, wie hoch der Investitionsbedarf für die Smart Grids eigentlich sein wird. Der Bundesverband für Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) beispielsweise geht davon aus, dass allein der Um- und Ausbau des Stromverteilernetztes mit 20 bis 25 Milliarden Euro zu Buche schlagen könnte und die nötigen Aufwendungen für die Gasnetze ebenfalls im zweistelligen Milliardenbereich liegen werden.
Modernisierung als Hürdenlauf
Anbieter gewinnen erneuerbare Energie oft weit entfernt von den Verbrauchern, haben bislang aber noch keine überzeugenden Lösungen für den Transport und die Zwischenspeicherung. Sie betreiben Windkraftanlagen vor der norddeutschen Küste, wissen aber noch nciht so genau, wie ihr Strom nach Süddeutschland kommen soll, wo die Energiewende besonders vielen konventionellen Kraftwerken das Aus bescheren wird. Während derzeit noch viel Windenergie buchstäblich verpufft, steigt die Einspeisung aus kleineren Solar- und Blockkraftwerks-Anlagen kommunaler und privater Energieerzeuger. Auf diese wachsenden Mengen sind die Stromnetze jedoch weder infrastrukturell noch verteilungs- und abrechnungstechnisch vorbereitet.
Erschwerend kommt hinzu, dass es in Deutschland noch immer zahlreiche Orte gibt, in denen das Internet nur mit extrem geringen Bandbreiten funktioniert. Schnelles, flächendeckendes Breitband-Internet ist aber eine wesentliche Voraussetzung für die neue Welt der „E-Energy“. Im großen Spiel um Klimaschutz, Dezentralisierung der Stromnetze und Heimvernetzung haben die Akteure derzeit noch mehr Fragen als Antworten – auch im Hinblick auf die nötige IKT-Infrastruktur und deren Standardisierung. Erst einmal brauchen Energieanbieter vor allem Netzwerk-Hardware und Sensorik, und das nahezu überall – vom Gateway am Strommast über den Router in der Trafostation bis hin zu bi-direktional kommunizierenden Messgeräten am Verbrauchsort in Millionen Haushalten, Unternehmen und an öffentlichen Plätzen. Hinzu käme dann noch eine Armada von Lösungen für die Maschinen-Kommunikation, die Big Data-Analyse und viele wichtige Anwendungen, für die es bisher keine echten Standards gibt.
Massive Investitionen in intelligente Netze und der entsprechende Breitband-Ausbau aber hängen davon ab, dass heutige Lösungen mit kommenden, fortschrittlicheren Technologien kompatibel sind. Die weitgehende Abwesenheit von Standards und Anforderungsprofilen auf nationaler und europäischer Ebene halten Experten daher für eines der größten Hemmnisse auf dem Weg zu flächendeckenden Smart Grids.
Unklare Vorgehensweisen
Bemerkenswerterweise sind die Standardisierungsbemühungen ausgerechnet im Bereich intelligenter Stromzähler (Smart Meters) am weitesten fortgeschritten. Hierzu zählt etwa die Rolle des Messdienstleisters, der die Zähler betreiben, die Messdaten erheben und diese in seinem Rechenzentrum für Stromlieferanten, Vertriebsnetzbetreiber udn andere Dienstleister aufbereiten soll. Zumindest in Vorschlagsform geregelt sind auch die Vorgaben für Datentransfer, Datenschutz und die Absicherung der Kommunikatonsleitungen. Wie sich das vom Bundesamt für Informationssicherheit (BSI) erarbeitete Modell beim Um- und Ausbau existierender Strom/Wärme-Vertriebssysteme bewähren wird, bleibt abzuwarten. Mit einiger Wahrscheinlichkeit aber wird es mittelfristig neue Anforderungen an die Mess- und Kommunikationssysteme geben. Aktuelle Erfolgsmeldungen von der Smart Meter-Front sind daher mit gesunder Skepsis zu betrachten. Denn zu signifikanten Energieeinsparungen und Klimaschutz können Smart Meters wenig beitragen, solange der weitaus größte Teil der Energiegewinnung und die -verteilinfrastruktur bleiben wie sie sind.
Tatsächlich ist die Energiewirtschaft hierzulande noch immer weitgehend in der analogen Welt verankert. Ihre Infrastruktur basiert auf Jahrzehnte alten Technologien, die sich nicht bruchlos in „smarte“ Systeme integrieren lassen. Wo etwa Elektrotechniker im Feld oft noch mit halb bis gar nicht digitalisiertem Dokumentationsmaterial arbeiten müssen, wirken intelligente Stromzähler wie der dritte Schritt vor dem ersten.
Laut Analysen des VDE (Verband Deutscher Elektrotechniker) gibt es in Deutschland derzeit mit Ausnahme der sechs E-Energy-Pilotstandorte „kein einziges Ortsnetz auf 400-Volt-Ebene in Deutschland, das mit entsprechenden Einrichtungen der Informations- und Kommunikationstechnologie ausgerüstet ist, wie es zur Erfüllung der Smart Grid-Funktionalität erforderlich wäre“.
Zwar sieht der deutsche Netzentwicklungsplan vor, bis 2020 rund 8.200 Stromtrassenkilometer um- und auszubauen, doch geht das Vorhaben nur etwa 20 Kilometer verspannter Leitung pro Jahr bisher extrem langsam voran. Was vielleicht gar nicht so tragisch ist, denn laut VDE ist es bei der Schaffung intelligenter Stromnetze „mit ein paar tausend meter mehr Leitungen“ ohnehin nicht getan. Von intelligenten Netzen, in denen die Erzeugung, Speicherung, das Netzmanagement und der Verbrauch lückenlos und automatisiert ineinander greifen, sei Deutschland noch ziemlich weit entfernt.
Nichts ohne IKT
Wer rechnen kann, kommt schnell dahinter, dass es extrem zu teuer wäre, die vorhandenen Stromnetze mit einem neuen gigantischen IKT-Netzwerk quasi zu überlagern. Da die Energiekonzerne ihre Infrastruktur aber trotzdem digital, flexibel und lückenlos von Kraftwerk bis Endkunde überwachen und steuern wollen, liegen ihre Hoffnungen nun auf Breitbanderweiterung und verbesserter IP-Technik.
Um Hudelei der marke Schnell & Schmutzig vorzubeugen, warnt der in nationalen und europäischen Standardisierungsgremien stark engagierte VDE eindringlich davor, die Umrüstung traditioneller Stromverbundnetze zu dezentralen Smart Grids überhastet und als Flickschusterei anzugehen. in Zeiten, in denen fast jeder Bürgermeister über eine Re-Kommunalisierung der Energieversorgung nachdenkt und sich davor gute Rendite für die leere Stadtkasse erhofft, scheint diese Warnung mehr als angemessen. Zumal die Anforderungen an kommunale Stadtwerke heute viel komplexer sind als vor der Zentralisierungswelle vor 15 Jahren, bei der die Kommunen ihre Versorgungs- und Verwaltungsverantwortung an die großen Energiekonzerne abgegeben hatten.
„Einen Mix aus konventionell hergestellter, erneuerbarer und privat erzeugter Energie zu verwalten und zu verteilen ist keine trivale Aufgabe. Auch sind die für passende, IT-basierte Systeme nötigen Investitionen noch zu unterschätzen“, mahnt auch Rolf Adam, der bei Cisco auf Europaebene für Smart Grid zuständig ist.
Hinzu kommt die Notwendigkeit neuer Marktmodelle. Da mit Smart Grids Lieferketten abgebrochen werden, die zuvor fast monopolistisch auf RWE, Eon und Co. ausgerichtet waren, ist ein Umdenken unausweichlich. „Dezentral, aber im umfassend vernetzten Verbund“ – auf dieses Motto müssen sich dei meisten Beteiligten offenkundig erst noch einordnen.
Schlau und sozial
Bei ganzheitlicher Betrachtung könnten Smart Grids eine wesentliche Verbesserung in nahezu allen Bereichen der öffentlichen Versorgung sicherzustellen – von Behörden und Verwaltungen über Gesundheits- und Bildungsdienste bis hin zum Verkehrs- und Transportmanagement.
Visionen einer besseren Welt beinhalten meist, dass jeder Mensch die Unterstützung bekommt, die er braucht. Smart Grids ermöglichen die umfassende Vernetzung und Interaktion von Dienste-Erbringern und Dienste-Nutzern und könnten die Gesellschaft so (zumindest theoretisch) einen großen Schritt weiter bringen, sei es nun in Sachen Klimaschutz oder der Hilfe für Benachteiligte.
Dass Smart Grids keineswegs auf die Energiewirtschaft beschränkt sind, bestätigt auch die Studie des Fraunhofer ESK und des BITKOM. Intelligente Netze im Verkehr, Transportwesen und in der Telematik wachsen demnach ebenso wie Smart Grids im Gesundheitssektor, dem Bildungswesen und der öffentlichen Verwaltung. (Quelle: IM talk)
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